http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0159
untersuchten, ohne die Emmendinger Arzte hinzuzuziehen. Sie hatten wohl den Auftrag, die
Unterlagen zu schaffen für weitere Aktionen.40 Damit bezog er sich wohl auf die Kommission
aus Berlin, deren Verhalten Gustav Ehrismann als einen der Gründe für seine psychische
Erkrankung geltend machte.
Ein Beleg dafür, dass er sich tatsächlich für seine Patienten einsetzte und über deren Schicksal
in eine Depression verfiel, ist bislang nicht aufzufinden.41 Ich gehe einmal davon aus, dass
die von ihm vorgebrachte Rechtfertigung für den Medikamentenmissbrauch keine Schutzbehauptungen
waren. Auch in anderen Fällen stimmte er nicht unbedingt mit den Maßnahmen
des Regimes überein.42 Dass es durchaus vorzeitige Informationen über geplante Aktionen gab,
macht das Beispiel von Friedrich Spindlers Schwester Helene deutlich. 1916 geboren, wurde sie
mehrfach als haltlose Psychopathin mit angeborenem Schwachsinn und Kleptomanie in Emmendingen
eingewiesen. 1935 war sie möglicherweise gegen ihren Willen sterilisiert worden,
nachdem sie ein Jahr zuvor ihre Tochter Magdalena geboren hatte. 1943 wurde sie einem Gendarmen
übergeben, damit sie - wie es dann geschah - am 24. März mit ihrer Familie nach
Auschwitz deportiert werden konnte. Bei dieser Gelegenheit erfuhr der Gendarm, dass Helene
noch in der Anstalt ihren Vater vom bevorstehenden Abtransport unterrichtet hatte. Wer die
Information weitergegeben hatte, konnte nicht geklärt werden. Helene Spindler überlebte die
Maximilian Thumm: Meine Erfahrungen bezüglich der Krankenaktion 1940/41, in: Richter (wie Anm.
36), S. 175-179, hier S. 178. Vgl. dazu Frank Janzowski: Die NS-Vergangenheit in der Heil- und Pflegeanstalt
Wiesloch. „... so intensiv wenden wir unsere Arbeitskraft der Ausschaltung der Erbkranken zu",
Ubstadt-Weiher u.a. 2015, S. 222. Zur Stimmung in der Anstalt (vermutlich ein Bericht aus Emmendingen
) ebd., S. 222f.
In den Unterlagen der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen, die im Staatsarchiv Freiburg vorhanden
sind, - namentlich in den sehr umfangreichen Patientenakten - konnten auf meine Anfrage hin keine
Hinweise auf Ehrismann ermittelt werden (Auskunft von Jochen Rees, 13.01.2017,21.01. und 01.03.2019).
Eine eigene Durchsicht einer kleinen Zufallsauswahl von Patientenakten (StAF, E 120/1) ergab, dass in
ihnen kein Vermerk über einen Schutz von Patienten durch vorzeitige Entlassung, Verständigung von Angehörigen
usw. zu erwarten ist. Eine Durchsicht der „Statistik der Irrenfürsorge" (ebd., G 1215/3 Nr. 919)
zeigte 1940 einen starken Anstieg der Abgänge an auswärtige Irrenanstalten, aber auch zur Privatpflege
und durch Entlassungen, doch geht daraus nicht hervor, welcher Arzt welche Maßnahme veranlasste.
Aufschlüsse könnte eine Patientenkartei aus der NS-Zeit geben, die das Zentrum für Psychiatrie Emmendingen
dem Staatsarchiv angeboten hat, aber noch nicht zugänglich ist (Mitteilung von Jochen Rees,
15.03.2019). Ulrike Weyrether, die für ihre Dissertation Patientenakten und ärztliche Gutachten aus der
Emmendinger Anstalt ausgewertet hat, hat mich freundlicherweise über einige ihrer Quellen informiert.
Darunter befindet sich ein Gutachten Dr. Ehrismanns vom 16.12.1940 im Rahmen des Gesetzes zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses (ebd., E 120/1 Nr. 6286). Auch daraus ist ersichtlich, dass diese Akten
keinen Aufschluss darüber geben, ob der Arzt versucht hat, den Patienten zu schützen. Dr. Ehrismann
bestätigt die Diagnose Schizophrenie und befürwortet wegen Verbesserung des Zustandes eine Entlassung
nach Durchführung der Sterilisierung (ähnlich in einem Gutachten vom 16.06.1941, ebd., B 132/1
Nr. 1553). Ich danke Ulrike Weyrether sowie Annette Riek und Jochen Rees vom Staatsarchiv herzlich
für ihre großzügige Unterstützung meiner Arbeit. Das Emmendinger Zentrum für Psychiatrie hat 2019
in mehreren Veranstaltungen der ermordeten Patienten und der „Euthanasie"-Politik gedacht (vgl. z.B.
Badische Zeitung, 26. und 30.01.2019, Der Sonntag, 27.01.2019).
Dies legt auch ein Brief an einen Arzt im Staatlichen Gesundheitsamt Konstanz vom 23.09.1941 nahe
(StAF, G 1215/3 Nr. 490): Darin schimmert eine Genugtuung darüber durch, dass gemäß ministerieller
Anordnung wegen der Personalverhältnisse während des Krieges die Durchführung der erbbiologischen
Bestandsaufnahme im Rahmen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933 zurückgestellt
werden müsse.
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