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Lagerhaft in Auschwitz-Birkenau nicht. Gustav Ehrismann ist ihr möglicherweise begegnet, hat
sie aber nicht behandelt.43
Während der Untersuchung gegen ihn befand sich Gustav Ehrismann in ärztlicher Behandlung
in einer Freiburger Klinik. Auf Anfrage teilte der zuständige Arzt mit, dass keine Sucht
feststellbar sei. Den Verweis und die Versetzungsanordnung erhielt Ehrismann während eines
Erholungsaufenthaltes in Badenweiler. Am 4. Mai 1942 trat er seine Stelle in Wiesloch an. Zusammen
mit seiner Frau wohnte er wieder auf dem Gelände der Anstalt. Im Zusammenhang
mit seiner Tätigkeit für das Gesundheitsamt Heidelberg erstellte er dann in dessen Auftrag ein
Gutachten für den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Mannheim über Friedrich Spindler.
Das Gutachten
Gustav Ehrismann untersuchte, wie er in seinem siebenseitigen Gutachten vom 10. April 1943
erläuterte, Friedrich Spindler gründlich körperlich und stellte keine KrankheitsSymptome fest.
Darüber hinaus führte er mit ihm mindestens ein längeres Gespräch und wertete dessen Akten
aus. Einleitend legte er den Werdegang Spindlers kurz dar und hob namentlich die negativen
Eigenschaften dieses Zigeunermischlings hervor, die sich in den Akten niedergeschlagen hatten.
Bei seiner eigenen Untersuchung habe Spindler ein trotziges und mürrisches Verhalten an den
Tag gelegt. Andererseits musste Ehrismann zugestehen, dass er alle Fragen kurz, sachlich und
sinnentsprechend beantwortet habe. Sein Gedächtnis, seine Merkfähigkeit und seine Auffassungsfähigkeit
waren ungestört. Auch Denkstörungen seien bei ihm nicht festzustellen gewesen.
Mit Dingen des alltäglichen Lebens und der Landwirtschaft wisse er gut Bescheid. Auch könne
er eine ihm vorerzählte Geschichte gut nacherzählen. Das Lernen falle ihm nach eigenen Angaben
nicht schwer. Seine schlechten Schulkenntnisse habe er mit häufigen Erkrankungen begründet
. Am liebsten wäre er Schmied geworden, doch habe er gleich nach der Schulentlassung
etwas verdienen müssen, weil seine Eltern darauf angewiesen gewesen seien. Seine früheren
Straftaten habe er als jugendliche Dummheiten bezeichnet. Dass er jetzt verbotene staatsfeind-
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liehe Äußerungen getan habe, sei ihm bewusst. Er erwarte erneut eine Strafe und wolle danach
Soldat werden.
Dieses Gespräch, das offensichtlich auch vorteilhafte Züge Friedrich Spindlers zum Vorschein
gebracht hatte, gab Ehrismann gemäß den fachlichen Standards wieder. Im Folgenden
hielt er sich hingegen nicht mehr daran: Die Gutachterliche Beurteilung fiel verheerend aus. Sp.
hat sich von Jugend an als ein Verbrecher gezeigt. Strafen machten auf ihn keinen Eindruck.
Sp. besitzt schlechte Charaktereigenschaften: er ist gemütskalt, brutal, mürrisch, trotzig. Diese
Charaktereigenschaften wird er sein Leben lang behalten. Sein unzureichender Schulbesuch
dürfte weniger in Erkrankungen als in seiner ihm angeborenen Neigung zum Vagabundentum
und seiner von Kindheit an bestehenden moralischen Haltlosigkeit begründet sein. Eine Geisteskrankheit
, insbesondere Schizophrenie, könne ausgeschlossen werden. Eine Nachreife ist bei
ihm nicht zu erwarten. Seine Veranlagung und sein bisheriger Lebensgang lassen ihm eine sehr
Die Handschrift in der Krankengeschichte stammt nicht von Ehrismann. Dennoch ist dieses Zusammentreffen
denkwürdig. Helene Spindlers Übergabe an die Gendarmerie erfolgte auf Anweisung von
Oberstaatsanwalt Dr. Eugen Weiß am 19.03.1943. Vgl. StAF, E 120/1 Nr. 11969 (Patientenakte, auf die
mich Ulrike Weyrether dankenswerterweise hingewiesen hat), G 12/2 P. 3 Nr. 240 (Uberstellung an
die Gendarmerie, Ermittlungen in der Anstalt); Hämmerle (wie Anm. 2), S. 85. Zu Oberstaatsanwalt
Dr. Weiß siehe Heiko Haumann: Eugen Selber (1895-1982). Handlungsspielräume eines Freiburger Gestapobeamten
, in: Schau-ins-Land 134 (2015), S. 109-136, hier S. 128f.
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