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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0172
Fazit

Friedrich Spindler und Gustav Ehrismann hatten nichts miteinander zu tun. Nur das Gutachten
für das Sondergericht Mannheim brachte sie in Beziehung. Ob Spindler hätte gerettet werden
können, wenn Ehrismann sachgerecht begutachtet hätte, wissen wir nicht. Er wäre vermutlich
trotzdem auch nach Auschwitz gekommen, vielleicht schon 1943. Möglicherweise hätten sich
dort aber andere Bedingungen ergeben als bei seinem späteren Eintreffen, die ihm eine Überlebenschance
eröffnet hätten. Darüber können wir nur spekulieren. Welche Schlussfolgerungen
lassen sich aus den Lebenswegen beider Menschen, die nur kurz aufeinandertrafen und auf
unterschiedliche Weise im nationalsozialistischen Herrschaftssystem verstrickt waren, ziehen?

Dass Dr. Ehrismann im März 1943 mit dem Gutachten beauftragt wurde, war ein Zufall.
Er war noch nicht lange in Wiesloch tätig und erst zwei Wochen zuvor an das Heidelberger
Gesundheitsamt abgeordnet worden. Von ihm hatte Spindler nichts Gutes zu erwarten. Seine
Haltung gegenüber „Zigeunern" wurde von den Auffassungen der „Rassenhygiene" und den
Grundsätzen der nationalsozialistischen „Rassenpolitik" bestimmt - aus Überzeugung oder aus
Opportunismus, weil er sich als kranker und möglicherweise „gebrochener" Mann nicht erneut
gegen die herrschende Politik stellen wollte. Er betäubte sich mit Opiaten, wenn ihn etwas belastete
. Aber es war kein Zufall, dass ein solcher Gutachter gewählt wurde, sondern im Gegenteil
kennzeichnend für das System: Wir können nicht davon ausgehen, dass Spindler von einem Psychiater
begutachtet worden wäre, der sich mutig gegen die rassistischen Vorstellungen gewandt
und versucht hätte, durch geschickte Formulierungen - indem er etwa das nationalsozialistische
Vokabular verwendete - Spindler als Jugendlichem eine „Besserungsmöglichkeit" hin zu einem
nützlichen Glied der „Volksgemeinschaft" zu diagnostizieren. Ob ihn ein derartiger Gutachter
damit vor einer Verurteilung durch das Sondergericht und dem Zugriff der Kriminalpolizei
bewahrt hätte, ist fraglich, aber nicht völlig ausgeschlossen.

Im Blick auf die Verhältnisse, die uns bei der Betrachtung der beiden Lebenswege begegnet
sind, können wir noch einen Schritt weiter gehen. Friedrich Spindler, Albert Scheffel und
Irmgard Hefter waren Menschen am unteren Rand der damaligen Gesellschaft. Sie waren abgestempelt
. Man versuchte nicht, ihnen gerecht zu werden und gründlich zu ermitteln, was
geschehen war und welche Ursachen dafür verantwortlich waren. Dr. Ehrismanns Krankheit
wurde hingegen berücksichtigt, sein Verhalten blieb ohne strafrechtliche Folgen, stattdessen
kam er mit seiner Versetzung von Emmendingen nach Wiesloch und später mit einer vorzeitigen
Pensionierung davon. Trotz aller Vorbehalte gegen ihn wirkte hier der „Korpsgeist", dass ein
Fehlverhalten eines Psychiaters nicht auf den Stand der Psychiater und auf die psychiatrischen
Kliniken zurückfallen dürfe. Außerdem ist offenkundig, dass die Justiz Menschen je nach ihrer
Stellung unterschiedlich behandelte. Dr. Gustav Ehrismann erhielt immer wieder Aussichten
auf neue Möglichkeiten, Friedrich Spindler hatte letztlich keine Chance.

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