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Wenn man nobel sein will, zieht man schliesslich vor lauter Noblesse den Kürzen. [...] Es weht
doch bald ein anderer Wind & diese Gewaltmenschen werden auch mal schweigen müssen.23
Wie sehr der Autor irrte und welch Geist in Heitersheim trotz des Wahlerfolgs des Zentrums
bereits herrschte, machte ein Antrag an den Heitersheimer Gemeinderat vom Kampfbundleiter
für den Gewerblichen Mittelstand, Kaufmann Zähringer, vom 1. Juli 1933 deutlich. Zum Schutze
des Gewerblichen Mittelstandes, vor allem zum Schutze des schwer um die Erhaltung bezw.
Wiedererlangung seines früheren Umsatzes ringenden Einzelhandels bat er um den Beschluss
1. Jüdische Hausierer bezw. Wandergewerbetreibenden wird die Ausübung ihres Gewerbes in
hiesiger Gemeinde untersagt. 2. Jüdische Händler in Manufaktur, Kurz-, Wollwaren und Bekleidung
aller Art, wie überhaupt in allen Marktwaren werden zu den hiesigen Jahrmärkten nicht
mehr zugelassen. In der Begründung hieß es, dass der Jude Dreyfuss aus Breisach an sommerlichen
Viehmarkttagen einen Verkaufswagen für Strohhüte ohne Bezahlung einer Marktgebühr
oder Wandergewerbesteuer aufstellen würde, während der einheimische Handel, der erheblich
zur Umlageaufbringung herangezogen ist, auf seinem Lager sitzen bleiben kann. In anderen
Marktorten seien jüdische Händler vom Marktverkehr ausgeschlossen. Ist die Entscheidung des
Gemeinderats zwar unbekannt, so ist dies doch ein eindrucksvolles Beispiel für den Wandel in
Heitersheim.24 Gleichwohl blieben die überzeugten Nationalsozialisten in der Minderheit.25
Nicht so in Karlsruhe: Das Badische Innenministerium versagte Feuerstein am 24. Juli 1933
die Anerkennung.26 Im Rahmen der Gleichschaltung verfuhr das Innenministerium mit Feuerstein
wie mit vielen anderen gewählten Bürgermeistern aus den Reihen des Zentrums.27 So
wurde Zirlewagen Anfang August 1933 als Bürgermeister Heitersheims bestätigt. Bei seiner anschließenden
Amtseinführung am 6. August gab er seiner Hoffnung Ausdruck, dass das bisherige
gute Einvernehmen zwischen Gemeinde und Kirche auch in Zukunft erhalten bleiben möge.
Frühere Gegner würden die Nationalsozialisten nicht als Menschen Zweiter Klasse behandeln.
Unter das Vergangene solle man nun einen Schlussstrich ziehen. Jeder, der ehrlichen Herzens
zur Mitarbeit am Wiederaufbau Deutschlands bereit sei, sei willkommen.
Nach der Selb Stauflösung des Zentrums am 5. Juli 1933 forderte das Badische Bezirksamt
deren Vertreter im Heitersheimer Gemeinderat zum Rücktritt auf, der am 20. September 1933
erfolgte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt „saßen die neuen Herrscher also auch in Heitersheim
fest im Sattel".28 Die Auseinandersetzung von Zirlewagen und Feuerstein ging vor diesem Hintergrund
Ende 1933 in die zweite Runde. Nachdem Feuerstein 1904 bis 1933 ehrenamtlich stellvertretender
Vorsitzender der Spar- und Kreditbank Heitersheim gewesen war, wurde er Ende
1933 zu dessen Vorstandsvorsitzenden berufen. In geheimer Abstimmung erhielt er 100 Stimmen
, auf Zirlewagen entfielen 10 Stimmen. Vielleicht war es diese erneute Niederlage, die ihn
dazu veranlasste, die Auszahlung der Bürgermeisterbezüge Feuersteins durch die Gemeinde zu
torpedieren. So versagte er die Auszahlung dessen Gehalts vom 24. März bis 3. August 1933
sowie die Pension in Höhe von 60 Prozent seines zuletzt bezogenen Gehalts ab 3. August 1933.
Mit dem am 16. Dezember 1933 öffentlich gemachten Flugblatt Der Kampf beginnt! blieb er
seiner Polemik gegenüber seinem Amtsvorgänger treu und geißelte darin unerhörte Forderungen
Feuersteins nach einer Pension als eine laufende Belastung ohne Gegenleistung. Feuersteins
23 Privatarchiv Oskar Feuerstein, Brief von „H." vom 11. Juni 1933 ohne Absender.
24 StadtAH, Box 24, 1933.
Neisen (wie Anm. 4), S. 141.
StadtAH, Box 20, Fasz. 11, Badisches Ministerium des Innern an die Gemeindeverwaltung Heitersheim
vom 24. Juli 1933.
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Hourand (wie Anm. 7), S 191f.
Neisen (wie Anm. 4), S. 146.
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