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nunmehr gegen die Inschutzhaftmaßnahmen. [...] Davon, daß die Gefahr einer Demonstration
der SA gegen Zirlewagen bestand, kann keine Rede sein. Wenn heute Zirlewagen zur Wiederwahl
als Bürgermeister stände, würde er bestimmt mit mindestens 80 % Stimmenmehrheit wieder
gewählt werden. Die Situation ist also in Heitersheim die, daß weitaus die große Mehrheit
der Bevölkerung auf seiner Seite steht und nur einzelne unzufriedene Arbeiter gegen ihn gehetzt
haben.6* Im Anschluss an das Gespräch beantragte Vierling bei der Gestapo in Karlsruhe,
dass Zirlewagen wieder nach Heitersheim zurückkehren dürfe: Meines Erachtens bestand kein
Grund zur Inschutzhaftmaßnahme.69 Berckmüller hob am 24. April die Schutzhaftmaßnahmen
gegen Zirlewagen auf und gestattete die Rückkehr nach Heitersheim. Landrat Vierling informierte
die Gestapo Karlsruhe am 24. April über die Schlussmeldung der Gendarmerie vom 22.
April. Diese stellte fest, dass Zirlewagen nicht gerade ein mustergültiger Betriebsführer war,
dass aber von skandalösen Zuständen auch nicht gesprochen werden kann. [...] Zirlewagen ist
als Bürgermeister geachtet und namentlich bei der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die ihn
früher abgelehnt hat, beliebt geworden.70
Im politischen Abseits
Eine Woche später, am 27. April 1935, leitete der Treuhänder der Arbeit für den Bezirk Südwestdeutschland
ein ehrengerichtliches Verfahren gegen Zirlewagen ein. Der Treuhänder beschuldigte
Zirlewagen 1934/35 als Betriebsführer der Franka unter Missbrauch seiner Machtstellung
im Betriebe böswillig die Arbeitskraft von Angehörigen und Gefolgschaft ausgenutzt und ihre
Ehre gekränkt zu haben. Das Ehrengericht Karlsruhe erteilte Zirlewagen am 14. Mai wegen
gröblicher Verletzung der durch die Betriebsgemeinschaft begründeten sozialen Pflichten mit
einer Verwarnung (laut Gesetz Warnung) die mildeste mögliche Strafe. Das Ehrengericht machte
Zirlewagen untertarifliche Bezahlung, Arbeitszeitüberschreitung, Nichtgewährung von Urlaub
und beleidigende Äußerungen gegenüber der Franka-Belegschaft zum Vorwurf. Jedoch
habe er weder die Machtstellung im Betrieb noch die Arbeitskraft seiner Belegschaft ausgenutzt
und deren soziale Ehre gekränkt. Da Zirlewagen als Betriebsführer versagt, sich wegen seiner
Nebenämter nicht ausreichend um den Betrieb gekümmert und nicht für die nötige Ordnung in
ihm gesorgt habe, unterließ das Ehrengericht einen glatten Freispruch aus formalen Gründen,
da dieser einem gesunden Volks empfinden nicht entsprechen würde. Die Verwarnung sollte mit
zur Erziehung der Volksgenossen im Geiste der neuen Arbeitsordnung beitragen. Da das Ehrengericht
eine Böswilligkeit Zirlewagen verneinte, legte der Treuhänder der Arbeit Berufung
ein. Er empfand die Strafe als zu milde.71 Er ging daher in Berufung. Zur Verhandlung kam
es am 30. September 1935 vor dem Reichsehrengerichtshof in Berlin. Dort entkräftete Zirlewagen
die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und erwirkte einen Freispruch. In seiner Urteilsbegründung
wies der Reichsehrengerichtshof die Gedankenführung des Ehrengerichts bezüglich
der Erziehung der Volksgenossen als verfehlt zurück. Das Urteil hielt fest: Nach alledem sind
sämtliche Anschuldigungen unbewiesen geblieben und musste der Angeklagte freigesprochen
werden. Er erscheint als ein Mann, der streng gegen sich selbst ist und deshalb auch anderen
nichts nachlässt. Aber von einer asozialen Gesinnung kann bei ihm keine Rede sein. Wie er sich
StAF, B 741/1 Nr. 3417, 21-22, Notiz Landrat Vierling vom 23. April 1935.
StAF, B 741/1 Nr. 3417, 23, Landrat Vierling an die Gestapo Karlsruhe am 23. April 1935.
StAF, B 741/1 Nr. 3417, 24-25, Notiz Landrat Vierling vom 24. April 1935.
StAF, B 741/1 Nr. 3417, 149-164, Urteil im Verfahren vor dem Ehrengericht Karlsruhe gegen Zirlewagen
am 14. Mai 1935.
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