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genügend bewässert würden.55 Weitere Beschwerden trugen im August 1825 drei Müller und
Consorten dem wohllöblichen Großherzoglichen Stadtamt gegen Hr. Cigorien Fabrikant Kuen-
zer, wegen Versetzung des Wassertheilers an dem Unteren Runzbach bei der Cigorienmühle vor,
obwohl Kuenzer beim Bau von dessen Zichorienmühle dies ausdrücklich untersagt worden war.
Das Stadtamt forderte daraufhin Franz Xaver Kuenzer auf, die Ursache der Schädigung innerhalb
von 14 Tagen zu beseitigen. Dieser schlug im Gegenzug vor, über einen Sachverständigen
prüfen zu lassen, ob der fragliche Teiler des Mistbachs mit Wasserzähler in das Fabrikgelände
verlegt werden könnte - letztendlich blieb es aber beim bisherigen Zustand. Sicher auch, um
weitere Beschwerden zu umgehen, kaufte Kuenzer am 24. April 1832 von den Eheleuten Michael
Steiert, ihre vor dem Zähringer Tor gelegene sogenannte „Tennenbacher Mühle", nebst
Zubehör.56 1838 ließ er sogar eine „Kunstmühle nach amerikanischem System" erbauen, was
man seinerzeit als „absolutes Novum" ansah, da solche Mühlen mit modernen Walzenstühlen
arbeiteten und mit Turbinen liefen oder mit Dampfmaschinen bzw. Elektromotoren angetrieben
wurden.57
Zur Ausstattung der Fabrik gehörten schon in den ersten Jahren 24 Darröfen, sechs Röster
und zwei Mühlen.58 Der Holzverbrauch wird in der Zeit der Zichorientrocknung und -röstung
mit monatlich 240 bis 250 Klafter Buchenholz angegeben. Die Beschäftigtenzahl schwankte
zwischen 100 und 170 Arbeitern in der Zeit der Zichorienkampagne (Oktober-November). Es
gab „für sämmtliche Arbeiter eine eigene Speiseanstalt und [eine] eigene Betriebskrankenkasse
, außerdem Wohnungen für etwa 50 Arbeiter".59 Wie die tägliche Arbeitszeit und der Verdienst
eines in der Freiburger Zichorienfabrik Beschäftigten aussahen, wird am Beispiel des
Rebmannes Joseph Ries (1816-1890) deutlich. Dieser arbeitete gewöhnlich im Sommer tagsüber
in der Zichorienfabrik, während er am „Feierabend" Rebflächen am oberen Schlossberg bewirtschaftete
. Die Arbeitszeit in der Fabrik begann im Sommer um 6 Uhr und endete um 19 Uhr.
Dafür erhielt er einen Tageslohn von 36 Kreuzer, was in den 1850er-Jahren einem 1 Vi kg-Laib
Brot entsprach. Krankheits- und altersbedingt musste er vorzeitig die Tätigkeit in der Zichorienfabrik
aufgeben, woraufhin er Tragkörbe, sogenannte „Hutten", u. a. für seinen früheren Arbeitgeber
anfertigte.60
Zu was wurden nun die pro Jahr 500 bis 600 Tonnen Cichorienwurzeln weiterverarbeitet,
die der Firma Kuenzer & Comp, per Eisenbahn geliefert worden sein sollen?61 Unklar ist, ob sie
als Kaffeezusatz, Zichoriensurrogat oder Kaffeeersatz dienten? Hier helfen die Werbemarken,
womit die Zichorienfabrikanten ihre Erzeugnisse bekannt machten. Eine solche Kuenzer'sche
StadtAF, Cl Runzsachen 6 Nr. 23.
StAF, A 25/7 Nr. 494. Vgl. StAF, B 702/1 Nr. 3642 und 3643 (Beschwerde Kuenzer gegen Anton Steiert
wegen Benutzung des Gewerbebaches).
Die Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein - Geschichte und Wirkungsfeld der Kammern
Freiburg und Lahr, hg. von Bernd Boll und Ursula Huggle, Freiburg 1998, S. 60; Wikipedia: Artikel
„Kunstmühle" (Stand: 15.07.2018).
Schreiber (wie Anm. 3), S. 257.
F[riedrich] Sachs: Cichorienfabrik - Fabrik moussierender Weine, in: Freiburg im Breisgau. Die Stadt
und ihre Bauten, hg. von dem Badischen Architecten- und Ingenieur-Verein, Freiburg 1898. Für 1869
werden 133 Arbeiter und für 1895 124 Bedienstete angegeben, Willi A. Boelke: Die Freiburger waren
erfinderisch. Über Freiburgs Industrie im 19./20. Jahrhundert, in: Schau-ins-Land 110 (1991), S. 159-178.
Aus der Lebensbeschreibung des Peter Ries (1848-1920), der über seinen Vater Joseph Ries berichtet,
abgedruckt in: Hans Sigmund: 1000 Jahre Herdern. Vom ehemaligen Winzerdorf zum „Klein-Nizza"
von Freiburg, Freiburg 2007, S. 357-366; Ingrid Kühbacher: In Freiburg bekannt. Persönlichkeiten und
Unternehmen mit Engagement und kreativen Ideen, Freiburg 2009, S. 193f.
Boll/Huggle (wie Anm. 57), S. 19f.
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