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Munition verbringen zu müssen und nicht im Dreck leben zu müssen.72 Im März 1917 gelang
es Felix, nach Mainz versetzt zu werden, wo er die Kohlenausgleichstelle der Stadt übernahm
und aufgrund seiner gründlichen Arbeit den gesamten Kreis Mainz zugeteilt bekam. Wieder
versorgte er sein Netzwerk mit wichtigen Informationen, z. B. erkannte er schon im Juni 1917,
dass Kohle im Winter 1917/18 sehr knapp werden würde und empfahl Heinrich, in Freiburg
genügend Holz anzusammeln.
Gleichzeitig liefen die Geschäfte der Ludwig Ganz AG auf Hochtouren, sodass er Heinrich erzählte
, Geschäft unter 100 Mille sieht man gar nicht mehr an.73 Nach einer unvorstellbaren Lieferung
von acht Waggons an Ware von Caspali sei der Orient [...] tatsächlich ausgekehrt^ Wenn auch
die „Auskehrung des Orients" eine übersteigerte Metapher sein mag, wurden Felix' kaufmännische
Leistungen Ende November 1917 anlässlich des Geburtstags des Großherzogs Ernst Ludwig
von Hessen-Darmstadt durch seine Ernennung zum Kommerzienrat gewürdigt.75 Nachdem diese
Ehrung keineswegs automatisch erfolgte, bedeutete sie eine bewusste Anerkennung seines
Wirkens durch den Landesfürsten und steht in bemerkenswertem Kontrast zur Bestrafungsaktion
durch das Militär 1916. Felix hatte als Hoflieferant einen guten Ruf am Darmstädter Hof,76 den er
allerdings in Militärkreisen nicht im gleichen Maß geltend machen konnte.
Auch im letzten Kriegsjahr liefen die Geschäfte der Ludwig Ganz AG deshalb sehr gut, weil
Felix die Firma auf die Anforderungen der Kriegssituation umstellte und dem Importverbot
von Luxusgütern und der gesunkenen Kaufkraft der Deutschen durch eine Konzentrierung auf
den in- und ausländischen Verkauf von in Deutschland gefertigten Alltagsartikeln begegnete
. Er beteiligte die Firma an der Produktion derselben, indem er enge Kontakte zu den ihm
zuliefernden Fabrikunternehmen knüpfte, und die Generalversammlung vom 22. April 1918
genehmigte auch im letzten Kriegsjahr die Verteilung von 20 % Dividende. Felix ging wieder
regelmäßig auf Geschäftsreisen und schrieb im September 1918 aus dem Hotel Adlon in Berlin,
er plane Mitte des Monats in die Türkei zu reisen. Ähnlich wie zu Anfang des Krieges, wenn
auch pessimistischer, kommentierte er die Stimmung in Berlin und gab sie als militärisch [...]
voll Vertrauen, politisch [...] sehr ernst; es dauert noch lange wieder.77
Sein Sohn Hermann besuchte ab März 1917 einen zweiwöchigen Schießschulkursus in
Ostende und wurde im Anschluss nach Menin versetzt, wo Heinrich 1914 gedient hatte. Felix'
Tochter Olga formulierte Hermanns Situation dort als relativ geborgen.7* Bis Kriegsende wurden
seine Kreuzschmerzen und sein Wunsch nach Beförderung nicht erfüllt.
Die intensiven Kriegserfahrungen vertieften die enge Beziehung zwischen Heinrich Brenzinger,
Felix Ganz und ihren Familien. Aus den Briefen wird ersichtlich, dass Heinrich und Felix sich
voneinander auf eine Art verstanden fühlten, wie sie es bei kaum einem anderen Familienmitglied
erlebten. Der Krieg stärkte ihr Durchhaltevermögen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten,
und sie schätzten diese Qualitäten auch aneinander.
Tragende Verbindungen
72
Ebd.
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Brief von Felix Ganz an Heinrich Brenzinger vom 30. Juni 1917.
74
Ebd.
75
Vgl. Brief von Felix' Tochter Olga Ganz an die Freiburger Verwandten vom 24. November 1917.
Offizielle Ernennung zum Hoflieferanten 1913. Vgl. Ganz (wie Anm. 1), S. 186.
Brief von Felix Ganz an Heinrich Brenzinger vom 1. September 1918.
Brief von Olga Ganz an die Freiburger Verwandten vom 29. März 1917.
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