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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2020/0148
„Will nämlich das Recht eine herrschaftsfreie Ordnung in Kraft setzen, so wird zunächst
einmal nötig, daß die Verfassung den Bereich dieses Lebensgebietes vor der
Wirksamkeit der spezifisch staatlichen Herrschaftsordnung sicherstellt. Denn wo der
Marschbefehl in der Brust jedes einzelnen die Ordnung des Zusammenwirkens zu erzeugen
berufen ist, da darf dieser Marschbefehl nicht durch Marschbefehle der Staatsgewalt
durchkreuzt werden. Rechtstechnisch wird diese Sicherstellung dadurch bewirkt,
daß die Verfassung dem Individuum eine entsprechende Freiheitssphäre garantiert und
der Staatsgewalt einen Eingriff in diese Freiheitssphäre entweder überhaupt verbietet
oder aber ihn durch Einbau formaler Hindernisse erschwert. (Erfordernis landesgesetzlicher
oder reichsgesetzlicher Ermächtigung oder gar eines verfassungsändernden
Gesetzgebungsaktes.) Diese verfassungsrechtliche Freiheitsverbürgung unterscheidet
sich, wie man sieht, äußerlich und an sich in nichts von den Freiheitsverbürgungen, die
das Individuum lediglich seiner individuellen Menschenrechte wegen vor dem Überwuchern
staatlicher Inanspruchnahme sichern sollen. Trotzdem leuchtet ein, daß die
rechtspolitischen Erwägungen, die hier zur Einräumung und Sicherung einer individuellen
Freiheitssphäre führen, grundsätzlich anderer Art sind als diejenigen, die das
Recht veranlassen, die Freiheit der Einzelpersönlichkeit um ihrer selbst willen gegen die
Staatsgewalt zu schützen. Die Staatsgewalt dankt nämlich hier nicht zugunsten der isolierten
Einzelpersönlichkeit, sondern vielmehr lediglich zugunsten eines anderen, nicht
spezifisch staatlichen, nicht spezifisch politischen Ordnungsprinzips sozialen Zusammenwirkens
ab. Man kann daher mit Bezug auf diese so motivierten Freiheitsgarantien
auch nicht sagen, daß der von Carl Schmitt zitierte Satz Mazzinis zutrifft: ,Die Freiheit
konstituiert nichts'. Die Freiheit konstituiert in diesem Falle vielmehr genau dasselbe,
was sonst auf den ihm vorbehaltenen Sozialgebieten das politische Herrschaftsprinzip
zu konstituieren berufen ist, nämlich eine straffe soziale Kooperationsordnung."19

Wenn Böhm hier das Privatrecht unter öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet,
wendet er sich offensiv gegen Positionen des Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888-1985), der „das
Privatrecht auf seine strikt privaten, das heißt gesamtgesellschaftlich unerheblichen Funktionen"
reduziert.20 Anders als Böhm, schließt Schmitt das Privatrecht und damit den Gedanken der Autonomie
des Einzelnen aus dem Bereich des Öffentlichen aus.21 Dadurch, dass Franz Böhm die öffentlich
-ordnende Kraft freier, private Verträge eingehender Individuen zum verfassungsrechtlichen
Angelpunkt seiner Schrift macht und diese Position im Juni 1933 nicht in Frage stellt, zählt er zu den
stärksten Verteidigern liberaler Grundpositionen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme.

Böhm war skeptisch, ob er mit seinem Plädoyer für eine freie Marktwirtschaft ohne private
und staatliche Machteingriffe, bei den neuen Machthabern Gehör finden würde. Er befürchtete
das Gegenteil. An den Freiburger Historiker Gerhard Ritter (1888-1967) schrieb er, dass die
neueste Gesetzgebung auf dem Kartellgebiet und die außergewöhnliche Zunahme der Kartellierung
und der kartellmäßigen Preiserhöhungen der letzten Zeit besorgniserregend seien und die
personelle Besetzung der maßgeblichen Ressorts im Sinne der Interessentengruppen erfolge.22

19 Ebd., S. 120f.

20 Vgl. Mestmäcker (wie Anm. 1), S. 43f.

21 Schmitt war einer der Lieblingsgegner Böhms. An Rüstow schrieb Böhm am 27.10.1932: Die Existenz von Carl
Schmitt hat für mich eine aufreizende Wirkung. Dieser politisch-geistigen Potenz des Unoffenen, Anspruchsvollen
, Raffinierten, das dialektisch radikal entgegengesetzte Element der völlig unpretenziösen natürlichen
Offenheit der Gedanken gegenüberzustellen, erscheint mir höchst notwendig, BArch, N 1169/26, Bl. 88f.

22 Franz Böhm an Gerhard Ritter; Freiburg, 16.8.1933, im Nachlass Ritter, BArch, N 1166/485.

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