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Mit wissenschaftlich und politisch gleichgesinnten Kollegen kam Böhm nicht nur im juristisch
-wirtschaftswissenschaftlichen Gemeinschaftsseminar, vielmehr auch in dem Privatseminar
des Nationalökonomen Karl Diehl (1864-1943) über „Der Einzelne und die Gemeinschaft"
zusammen. Hier trafen sich von 1934 bis 1943 die Ökonomen Walter Eucken, Adolf Lampe
(1897-1948) und Constantin von Dietze (1891-1973), die Historiker Gerhard Ritter und Clemens
Bauer (1899-1984) und der Physiker Gustav Mie (1868-1957) zu Gesprächen. In diesem Seminar
wurden in wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit und Offenheit (von Dietze) grundsätzliche Fragen
der politischen und wirtschaftlichen Ordnung, aber auch politische Tagesereignisse besprochen.
Solche privaten Zirkel Freiburger Professoren, in denen die politische Grundhaltung der Beteiligten
die Zusammensetzung bestimmte, entstanden erst nach 1933. Unter dem Rektorat des
Philosophen Martin Heidegger (1889-1976) hatte sich 1933/34 das Klima an der Freiburger Universität
stark verändert. Der neue Rektor polarisierte. Die einen folgten ihm in seinem Streben,
die Hochschule und hier insbesondere die Fakultät, an der Böhm und Eucken wirkten, im Sinn
des Regimes umzubauen. Andere opponierten, viele blieben gleichgültig. Eucken berichtete
seiner in Jena lebenden Mutter in zahlreichen Briefen vom politisch bedingten Zerfall der alten
Professorengeselligkeit, aber auch von intensiven Freundschaften, die ihn bald die untergegangene
Freiburger Gelehrtenkultur vergessen ließen.30 Zur intensivsten und tiefsten Freundschaft
sollte sich die mit Franz Böhm entwickeln. An vielen Treffen der Ehepaare Böhm und Eucken
nahm auch Ricarda Huch teil.31 Diese interessierte sich für Euckens wissenschaftsphilosophische
und wissenschaftshistorische Überlegungen, die einen direkten Bezug zur Politik der Zeit
hatten.32 Im Sommersemester 1936 besuchte sie Euckens Vorlesung „Der Kampf der Wissenschaft
", in der am Beispiel großer Denker ein Eindruck von der Kraft, Würde, Bewegtheit echter
Wissenschaft gegeben werden sollte.33 Sein Plädoyer für Objektivität und Rationalität in den
Wissenschaften war direkt und für alle Hörer offen erkennbar gegen den Irrationalismus und
Subjektivismus der nationalsozialistischen Wissenschaftsauffassung gerichtet. Während die nationalsozialistischen
Dozenten und Studenten mit dem Juristen Theodor Maunz (1901-1993) an
der Spitze Eucken als volksfeindlich und charakterlos angriffen, vermittelte seine Vorlesung
Ricarda Huch das Gefühl, daß da ein Mann von Charakter und Überzeugung und beinahe kindlicher
Offenheit steht.34 Ricarda Huch orientierte sich auch nach ihrer Übersiedlung nach Jena
an Euckens Ideal der objektiven, allgemeingültigen Wahrheit. Eucken verteidigte dieses Leitbild
zu einer Zeit, in der mit Kategorien wie „Volk" und „Rasse" die Idee der objektiven Wahrheit
aufs Schärfste bekämpft wurde. Franz Böhm teilte dem Freund mit, dass dessen Aufsätze gegen
den Historismus, für Eucken die gefährlichste Spielart des irrationalistischen Subjektivismus,
bei Ricarda Huch einen großen Eindruck hinterlassen haben.35
Böhm war in Freiburg Privatdozent und hatte dort keine Aussicht, einen Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht
zu bekommen. Im März 1936 erreichte ihn die ministerielle Zustimmung des Landes
Thüringen, die Lehrstelle für Bürgerliches, Handels- und Arbeitsrecht an der Universität
ThULB, Nachlass Rudolf Eucken, Kasten V/12.
Vgl. die Nachweise bei Bendt (wie Anm. 2), S. 8f., sowie Uwe Dathe: Ricarda Huch und der Ordolibera-
lismus, in: Weimar-Jena. Die große Stadt. Das kulturhistorische Archiv 7 (2014), S. 133-148, hier S. 139
und 144f.
Zu diesen Arbeiten vgl. Uwe Dathe: Walter Eucken - von der liberalen Krisendeutung zum Widerstand
gegen den Nationalsozialismus, in: Die Freiburger Kreise (wie Anm. 1), S. 85-112, sowie Oswalt (wie
Anm. 24).
Walter Eucken an Alexander Rüstow; Freiburg, 18.5.1936, BArch, N 1169/3, Bl. 448f.
Ricarda Huch: Briefe an die Freunde. Ausgewählt und eingeführt von Marie Baum, Tübingen 1955, S.
182.
Franz Böhm an Walter Eucken; Jena, 17.12.1940, ThULB, Nachlass Walter Eucken.
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