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überging, übernahmen bei Neubauplanungen von Kirchen als Gemeindezentren die konfessionellen
Kindergärten den ehemaligen Platz der Schule im Ensemble um die Kirche.

In Reaktion auf die Auswirkungen der Industrialisierung, etwa auf das Zunftwesen des alten
Handwerks und die Entkirchlichung der Großstädte, begannen sich in beiden Konfessionen seit
Mitte des 19. Jahrhunderts Sozialreformer für eine vertiefende soziale Gemeindearbeit einzusetzen.
In der katholischen Kirche gründete etwa Adolph Kolping ab 1850 Gesellenvereine zur Weitertra-
dierung der christlichen religiösen, familiären und sozialen Werte. Als neue Bauaufgabe entstand
das Gesellenhospiz; das erste dieser „Kolpinghäuser" wurde am 17. April 1853 in Linz gegründet.

Die ersten, dem Wortgebrauch des 20. Jahrhunderts nahekommenden Gemeindezentren,
waren an Kombinationsbauten mit Gottesdienstraum und Gemeinderäumen US-amerikanischer
Freikirchen orientiert.11 Hier knüpfte das Konzept der „lebendigen Gemeinde" des evangelischen
Dresdner Großstadtpfarrers Emil Sülze an. Sülze entwickelte in seinen Schriften seit den
1860er-Jahren ein Konzept der inneren Mission in Großstädten und stellte darin auch entsprechende
Überlegungen zu Erneuerung des Kirchenbaus an.12 Durch die Einführung staatlicher
Schulen und Standesämter sowie Sozial- und Wohlfahrtsverbände sah er die Kirche Teilen ihrer
ureigensten Aufgaben beraubt. Durch vertiefende soziale Gemeindearbeit, wie Armen- und Altenpflege
, Kinderbetreuung und Unterricht versuchte er diese zurückzugewinnen.

Tatsächlich im Sinne der „lebendigen Gemeinde" verwirklichte Beispiele von „Gruppenbauten
" waren im 19. Jahrhundert noch rar. Zu den frühesten gehört die evangelische Petrikirche in
Hamburg-Altona. Sie wurde 1883 nach Entwurf von Johannes Otzen mit Pfarrhaus und kleinem
Saalbau konzipiert. Die bescheidensten Gemeindezentren der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg
schuf Otto Bartning (1883-1959) in den evangelischen Diasporagebieten der Doppelmonarchie
Österreich-Ungarn zunächst in der Steiermark: 1905/1906 die evangelische Friedenskirche mit
Pfarrhaus in Peggau und von 1908 bis 1910 die evangelische Auferstehungskirche mit Pfarrhaus
in Rottenmann, danach meist in Gebieten, die heute zu Österreich oder Tschechien gehören.13
Ein sehr markantes Beispiel für ein Gemeindezentrum, bei dem der im Stadtbild repräsentative
landesfürstliche Gruppenbau der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts funktional mit Sulzes Gedanken
der „lebendigen Gemeinde" kombiniert wurde, ist das Ensemble der Darmstädter Pauluskirche,
das von 1905 bis 1907 nach Plänen des evangelischen Kirchenbaumeisters Friedrich Pützer errichtet
wurde. Eines der bemerkenswertesten frühen Beispiele eines baulichen Ensembles mit
Kirche, Pfarrhaus, großem Gemeindesaal, kleineren Gemeinderäumen und einer Kleinkinderschule
stellte die 1913/14 nach Entwurf der Düsseldorfer Architekten Rudolf Wilhelm Verheyen
und Julius Stobbe errichtete, im Zweiten Weltkrieg zerstörte evangelische Auferstehungskirche
in Düsseldorf-Oberkassel dar.14

Nach dem Ersten Weltkrieg befasste sich der Architekt Martin Elsaesser in theoretischen
Schriften zum Kirchenbau15 mit der städtebaulichen Einbindung und den inneren Raumkon-

Otto Schönhagen: Stätten der Weihe, Berlin 1919, S. 14.

Emil Sülze: Der Evangelische Kirchenbau; abgedruckt aus der Protestantischen Kirchenzeitung 1881, Nr.
11 und 12, Berlin 1912.

Vgl. Otto Bartning: Vom neuen Kirchenbau, Berlin 1919, und den Ausstellungskatalog: Otto Bartning.
Architekt einer sozialen Moderne, bearb. von Werner Durth, Wolfgang Pehnt und Sandra Wagner-
Conzelmann, hg. von der Akademie der Künste Berlin und der Wüstenrot Stiftung, Darmstadt 2017, S.
22-25.

Abbildungen der Grundrisse in: Schönhagen (wie Anm. 11), S. 14.

Martin Elsaesser: Neue Gedanken zum Evangelischen Kirchenbau, 1919, Evangelische Kultbaufragen,
1924, und Evangelischer Kirchenbau in heutiger Zeit, 1930, wieder abgedruckt in: Martin Elsaesser und
der moderne Kirchenbau heute, hg. von Thomas Erne, Marburg 2014, S. 14-45.

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