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Freiburg, betroffen war, weil sich hier die Situation durch den Zustrom der aus dem Elsass ausgewiesenen
„Altdeutschen" dramatisch verschärfte. Umso erstaunlicher ist, dass Baden ein Jahrzehnt lang nicht
dem schon damals vielgepriesenen Vorbild des Nachbarn folgte, geschweige denn eine Vorreiterrolle
übernommen hätte, um den Wohnungsbau zentral zu lenken und systematisch zu befördern. Tatsächlich
war es Württemberg, das als erstes Land eine Kreditanstalt einrichtete, just in dem Moment, als 1924
das „(Reichs-)Gesetz über den Geldentwertungsausgleich bei bebauten Grundstücken" erlassen war,
mit dem die Immobilienbesitzer zur Kasse gebeten wurden - Bacher bezeichnet sie als „Gewinner der
Geldentwertung" (S. 25) -, und dem Staat jährlich beinahe 13 Prozent des gesamten Steueraufkommens
bescherten. Die Länder erhielten den Auftrag, mindestens 10 Prozent davon für die Förderung
der Neubautätigkeit einzusetzen. Tatsächlich seien je nach Land zwischen 15 und 26 Prozent in den
Wohnungsbau geflossen, was immerhin zwischen 1924 und 1930 reichsweit die Finanzierung von „nahezu
50 Prozent aller Neubauten" (S. 24) ermöglicht habe.
Nach der Weltwirtschaftskrise verlagerten sich die Zuständigkeiten für Wohnungsbau und
Siedlungsangelegenheiten in das Reichsarbeitsministerium und die Länder fungierten während der gesamten
NS-Zeit dann nur noch als „Vollstrecker der Wohnungspolitik" (S. 53). Ein Schwerpunkt lag schon
unter der Regierung Brüning im Kleinsiedlungsbau, den die Nazis weiter förderten. Interessanterweise
wurden nach Gründung der Badischen Landeskreditanstalt hier deutlich mehr Kleinwohnungen mithilfe
von Reichsbürgschaften gebaut als in Württemberg, 1937 waren es 852 gegenüber 512, 1938 in Baden
sogar 1.362. Für Württemberg liefert der Autor leider keine Vergleichszahl. Überhaupt werden die beiden
Anstalten über weite Strecken nicht im direkten Vergleich, sondern nebeneinander abgehandelt.
In den badischen Vorstand gelangten mehrheitlich „klassische Vertreter der Ministerialbürokratie", die
aus Opportunitätsgründen das Parteibuch erwarben (S. 78). In Württemberg, so der Autor, habe es keine
„Gleichschaltung" gegeben und „klassische Vertreter des württembergischen Beamtentums aus der
Republik" hielten weiterhin das Steuer in der Hand (S. 86). Im Vorstand saß hier nur ein einziges NSDAP-
Mitglied. Inhaltlich entsprach der in beiden Ländern vertretene sozialpolitische Grundsatz weitgehend der NS-
Ideologie, durch die Eigenheimförderung sollte eine besondere Bindung an den Ort, also die „Heimat", entstehen
. Vorstandsvorsitzender Aichele hatte von Anfang an auf „die Sesshaftmachung des Württembergers"
(S. 41) mithilfe einer dezentralen Siedlungspolitik gesetzt, wobei die „Beheimatung durch Eigenheim" (S. 41)
die entscheidende Rolle spielte. Im Zentrum stand die Familie als „Urzelle des Gemeinschaftslebens" (S. 12)
- ein Gedanke, der sich nahtlos in die Ideologie der NS-„Volksgemeinschaft" einfügen ließ.
Die Siedlerauswahl erfolgte vorrangig unter politischen und rassenbiologischen Gesichtspunkten.
Das jedenfalls galt für die Reichsmaßnahmen, bei den Landesmaßnahmen hingegen seien, so Bacher,
wohnungspolitische, architektonische, bau- und finanztechnische Kriterien entscheidend gewesen.
Formal mag dies den Anforderungen entsprochen haben, aber letztlich ist kaum vorstellbar, dass ein
NS-Bürgermeister einen nicht-konformen oder nicht-„erbgesunden" Antragsteller berücksichtigt hätte.
Während schon in der Weimarer Republik die Siedlungspolitik von diversen, häufig konkurrierenden
Institutionen bestimmt wurde, sieht man sich bei den Passagen über die NS-Zeit mit einem kaum
mehr zu durchschauenden Maßnahmen- und Zuständigkeitswirrwarr konfrontiert, das es dem Autor
sichtlich erschwerte, eine stringente Darstellung zu erarbeiten. So existierten diverse „gemeinnützige"
Wohnungs- und Siedlungsunternehmen, zum Beispiel die vormals gewerkschaftseigene „Neue Heimat",
nunmehr der Deutschen Arbeitsfront zugeordnet und von Bacher merkwürdigerweise ausschließlich in
Baden verortet. Auch die Rolle der 1934 zur „Erb- und Rassenpflege" gegründeten Gesundheitsämter bei
der Vergabe von Baudarlehen wird reichlich nebulös dargestellt.
Beide Kreditanstalten waren ferner in sogenannte „Landsiedlungsprojekte" involviert, wenn es um
die Finanzierung eines neuen Bauernhofs oder um die Schaffung einer Hofstelle im Rahmen der Nordoder
Ostsiedlungen ging. Die Arisierung von Bauernhöfen wird leider nur für Württemberg skizziert, für
Baden die Mitwirkung der Landeskreditanstalt auf die Beschlagnahmung von 79 Höfen im Elsass fokus-
siert. Was mit den elsässischen Bauern geschah, bleibt unausgeführt. Immerhin beschreibt er die Verfolgung
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