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Badens und Württembergs verdient gemacht hat. Dem neuen Herausgeber kann man zurufen: Semper
talis! Karlheinz Deisenroth
Michael Bühler: Existenz, Freiheit und Rang. Handlungsmuster des Ortenauer Niederadels am Ende
des Mittelalters (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-
Württemberg: Reihe B, Forschungen 222), Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2019, XXVI u. 344 S., eine
ausklappbare Farbtafel.
„Es werden neue Deutungen für die Gruppenbildung des Niederadels entwickelt und Korrekturen
am Bild der Forschung des Niederadels als Ganzes vorgenommen. [...] Es werden Korrekturen an
Generalisierungen der Reformationsforschung ebenso vorgenommen wie an Interpretationen mittelalterlicher
Einungen und Bünde", verspricht der Umschlagstext der von Andreas Bihrer betreuten Freiburger
Doktorarbeit. Es geht um Handlungsmuster im Sinne von „Anpassungsleistungen des Niederadels, mit
denen dieser auf die gesellschaftlichen und sozialen Handlungsprozesse reagierte" und zwar in den
Bereichen Gruppenbildung, Lehen, Ämter und Dienste (vor allem bei den Markgrafen von Baden),
Kriegswesen (insbesondere Soldrittertum), Heiraten, „Kirchen-, Kloster- und Stiftsverhalten sowie wirtschaftliche
Anpassungen" (S. 3). Die Arbeit konzentriert sich auf den Zeitraum von der Einungsurkunde
von 1474 bis etwa 1542. Die Einbeziehung der Position der Ritter zur frühen Reformation ist mit der
Epochenangabe im Titel nicht zu vereinbaren. Fleißige Anhänge runden den gediegenen Band ab:
Mitglieder der Einungen/Verträge 1446 bis 1542, Heiraten (mit Quellenangaben, auch für Genealogen
wertvoll), die Einungsurkunde der Ortenauer Ritterschaft von 1474 als Faksimile eines Abdrucks von
1885. Insgesamt 1.344 Fußnoten, davon drei in den Registern, zeigen die wissenschaftliche Arbeitsweise
des Autors, der mit gedruckten Regesten- und Quellenwerken, aber auch mit Archivalien vor allem
aus dem Generallandesarchiv Karlsruhe gearbeitet hat. Eine umfassende Kenntnis der einschlägigen
Sekundärliteratur kann, obwohl 21 Werke von Kurt Andermann zitiert werden, nicht bescheinigt werden.
Auf den allgemein zu beklagenden Mangel an hinreichendem hilfswissenschaftlichem Unterricht dürfte
das Fehlen des Inschriftenbands von Ilas Bartusch „Die Inschriften der Stadt Baden-Baden und des
Landkreises Rastatt" (2009) zurückgehen. Von der Existenz des wichtigen Windeckschen Wappenbuchs
aus dem 16. Jahrhundert, einer wichtigen Quelle für die Stiftungen der Familie (indirekt über die
Windecker Regesten ausgewertet), erfährt man von Bühler nichts.
Da die Identifizierung der Kernfamilien innerhalb des Ortenauer Niederadels „eine wichtige Leistung
dieser Arbeit" darstellt (S. 299), seien die Namen auch hier genannt: Bach, Großweier, Neuenstein, Pfau
von Rüppur, Röder, Staufenberg (Bock, Hummel, Stoll, Wiedergrün), Schauenburg und Windeck.
Gern würde man sich intensiver in das Buch vertiefen, wäre es sprachlich gewandter. Es soll die inhaltliche
Leistung des Verfassers nicht schmälern, wenn ich mir hier einige kleine kritische Anmerkungen
erlaube. Über die regionale Identität der Ortenau, über das Verhältnis der Adelslandschaft zu dem
durch die Zugehörigkeit zur Straßburger Diözese definierten Raum, erfährt man leider nichts. Welche
Rolle der Rittertitel für die niederadeligen Familien spielte, wird nicht thematisiert. Der Autor setzt die
„Einung", den Adelsbund der Ortenauer Ritter, von den Adelsgesellschaften und Ganerbschaften ab,
lässt aber die Frage nach einem gemeinsamen Oberbegriff offen. Immer wieder wird der Kraichgau
als Vergleichsregion herangezogen, was löblich ist. Aber dass im Abschnitt über die reformatorische
Bewegung breit die Haltung der Kraichgauer Ritter referiert wird, weil die Ortenauer Quellen zu dürftig
sind, geht zu weit. Dem im Internet verfügbaren Protokoll über die Arbeitssitzung am 16. Januar 2015
der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e.V. ist zu entnehmen, dass in
der Diskussion zu einem Vortrag Bühlers über seine Arbeit die große Rolle Straßburgs angesprochen
wurde. Von einer „Öffnung der Adeligen gegenüber den Städten" zu schreiben (S. 299), ist angesichts
des Umstands, dass kaum Beziehungen zu Offenburg und den beiden anderen Ortenauer Reichsstädten
bestanden, grob irreführend. Klaus Graf
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