http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2020/0200
von Juden in Palästina verstanden. Durch die Nähe zu Basel, wo 1897 der allererste Zionistenkongress
stattfand (und danach einige weitere), hatten Freiburg und seine jüdischen Einwohner_innen von
Anfang an einen besonderen Bezug zur zionistischen Bewegung. Die Thematik wurde deshalb in der
Vergangenheit schon mehrfach in die lokalgeschichtliche Forschung implementiert, aber noch nicht in
einer solchen umfassenden Weise und mit dem hier feststellbaren systematischen Ansatz. Theoretisch
geht die Autorin vom geschichtswissenschaftlichen Konzept der „Lebenswelt" aus. Es handelt sich bei
den untersuchten Lebenswelten um „räum- und zeitbedingte Realitäten, in denen Individuen wie soziale
Gruppen denken, handeln und dadurch wiederum Daseinsformen schaffen" (S. 9). Im Zionismus
wurden „Sozialstrukturen, Kommunikationsprozesse und Interaktionen" in entsprechender Weise -
eben zionistisch - geprägt.
Die Autorin hat in ihrer Arbeit drei sich anbietende zionistische Teil-Lebenswelten und die darin
agierenden Akteur_innen untersucht: zunächst den Zionismus im städtischen Freiburger Raum, verkörpert
durch zwei zionistische Ortsgruppen (1898-1931), dann den Zionismus im universitären Umfeld,
vertreten durch drei zionistische Studentenverbindungen (1903-1933) und schließlich das zionistische
Auswanderer-Lehrgut „Markenhof" in Burg bei Kirchzarten (1919-1925). Die Arbeit ist nach einem konkreten
Schema aufbaut: jedes der drei Großkapitel über die vorgestellten zionistischen Lebens (teil) weiten
beinhaltet jeweils fünf Abschnitte, die analoge Untersuchungsbereiche beschreiben: a) eine grundsätzliche
Beschreibung der jeweiligen Lebenswelt, b) die sozialen Organisationsformen, c) die inhaltlichen,
das heißt „weltanschaulichen" Grundlagen, d) die konkreten Handlungsweisen und Wirkungsfelder der
Protagonist_innen und e) eine Analyse zu den jeweiligen Untersuchungsfeldern. Dieser durchgängige
Gliederungsaufbau des Buches wirkt äußerst durchdacht und schlüssig. Er wird ergänzt durch einen
(möglicherweise etwas zu knappen) Ausblick über die Rolle des Zionismus in Freiburg in der Zeit des
Nationalsozialismus (1933-1939) sowie durch ein resümierendes Fazit. Die Autorin bewegt sich kenntnisreich
in der Literatur zur Geschichte des Zionismus und rezipiert zudem souverän die relevante
Freiburger lokalgeschichtliche Forschung. Sie baut in ihrer Untersuchung auf die bisherigen Arbeiten
von Autor_innen wie Gabriele Blod, Kathrin Clausing, Heiko Haumann und Bernd Martin (Jüdisches
Leben in der Stadt) oder Rüben Frankenstein und Ulrich Tromm (Gut „Markenhof") auf, erweitert deren
Ergebnisse aber in erheblicher Weise durch die Auswertung zahlreicher bislang nicht berücksichtigter
Quellenbestände. Bedeutsam ist dies in besonderer Weise bei der Darstellung des Zionismus im Umfeld
der Freiburger Universität, dessen Zusammenhänge bisher so gut wie unbearbeitet geblieben waren.
Die vorliegende Arbeit besticht vor allen Dingen durch die zugrundeliegende intensive Quellenrecherche
, u. a. in Archiven in Israel, etwa im Central Zionist Archives in Jerusalem sowie im Archiv des
Kibbutz Beth Sera, der 1927 von „Markenhöflern" gegründet wurde. Zusätzliche wichtige Quellen fand
die Autorin in den Zeitschriften und Mitteilungsblättern der untersuchten zionistischen Organisationen.
Hier hätte man sich nur gewünscht, dass sie die einzelnen Zeitschriften und auch deren Fundorte näher
vorgestellt hätte. Eine der großen Stärken der Studie ist somit die absolute Nähe der Darstellung zu den
vorliegenden Quellen. Davon zeugt ein imposanter Anmerkungsapparat von nicht weniger als 35 Seiten
mit 637 Anmerkungen bzw. Quellenangaben. Allerdings wird auf diese Weise die Lektüre des Textes
auch etwas mühselig, findet sich doch nach mindestens jedem dritten Satz eine Anmerkungsziffer für die
jeweilige Referenz. Wäre dies nicht anders zu lösen gewesen?
Ohne der Lektüre vorauszugreifen, sei als ein Ergebnis dieser Studie vermerkt, dass sich die
Zielrichtung der Freiburger Zionisten erst mit der Zeit - vor allem nach dem Ersten Weltkrieg - auf
eigene Auswanderungsaktivitäten nach Palästina verlagerten. Zuvor und gleichzeitig gab es aber einen
Zionismus, dessen Konzepte vor allem das jüdische Leben vor Ort in Freiburg beeinflussten und wesentlich
mitgestalteten. Außerdem stellt die Autorin überzeugend dar, dass es in Freiburg tatsächlich mehrere,
unterschiedliche „Zionismen" mit jeweils eigenen Wirkungsfeldern gegeben hat: Es entwickelten sich
bürgerliche, studentische und jugendlich-praktische Varianten der zionistischen Idee. Allen gemeinsam
waren die Suche nach einer erfüllenden jüdischen Identität sowie das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft
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