http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2020/0203
Es bleibt somit das Verdienst der Autoren, in allgemeinverständlichen Texten und visualisiert durch
die Gegenüberstellung von „Vorher-Nachher"-Fotos Vergangenes - Bekanntes wie Unbekanntes - wieder
zum Leben erweckt zu haben, wodurch man mit anderen , Augen' durch die Stadtteile geht.
Hans-Peter Widmann
Reiner Haehling von Lanzenauer: Der badische Jurist Reichlin von Meldegg und seine Zeit (Schriftenreihe
des Rechtshistorischen Museums Karlsruhe 35), Verlag der Gesellschaft für Kulturhistorische
Dokumentation e.V., Karlsruhe 2019, 141 S., S/W-Abb.
33 Jahre verbrachte Joseph Reichlin von Meldegg im großherzoglich-badischen Staatsdienst zwischen
biedermeierlicher Beschaulichkeit, revolutionärem Aufbegehren und zügiger Modernisierung von
Rechtswesen und Verwaltung. In zwölf Amtsstädten war er tätig. Schon sein Geburtsort Reichenau war
das Ergebnis einer vom Innenministerium in Karlsruhe angeordneten Versetzung, denn auch der Vater
war Beamter. Obwohl die Familie in der Bodenseegegend verwurzelt war, empfand Joseph Freiburg, wo
er zur Schule ging, studierte und 1829 das Staatsexamen bestand, als seine Heimat. Der Autor Reiner
Haehling von Lanzenauer, selbst Jurist und als Richter und Staatsanwalt verschiedentlich versetzt, führt
in einer Monographie durch das Leben seines Protagonisten und schöpft aus dessen 1872 und 1874 publizierten
Erinnerungen, ergänzt durch Archivalien, vor allem Personalakten, die in jener Zeit offen zur
Sache gingen. Reichlin, der seine guten Fachkenntnisse gewandt und erfolgreich umsetzte, hatte einen
Schwachpunkt: Er neigte zu cholerischen Ausbrüchen. In Bonndorf scheiterte er beim Versuch, einen
solchen zu zügeln, indem er einen Kollegen attackierte.
Der Autor bietet einen Spaziergang durch ganz Baden und Einblicke in die Rechts- und Verwaltungspraxis
angefangen mit einer drastischen Schilderung der Prügelstrafe, die den jungen Reichlin entsetzt
hat. Als Gliederung dienen die zwölf Dienstorte: Lörrach, Rheinbischofsheim, Rastatt, Freiburg, Müllheim
, Bonndorf, Philippsburg, Staufen, Bühl, Breisach und Konstanz. Reichlins Erlebnisse bettet er ein
in historische und kulturhistorische Passagen zu jedem der zwölf Orte. Er bietet bauliche Details über
die Amtshäuser und die später selbständigen Amtsgerichte. Es gibt Exkurse zu Persönlichkeiten wie
Reichlins Kollegen Ludwig Eichrodt, der mit seinem Freund Adolf Kussmaul den Kraichgauer Lehrer
und Volksschriftsteller Samuel Sauter parodierte, diesem den Namen „Gottlieb Biedermeier" verpasste
und so zum Schöpfer des Namens einer ganzen Epoche wurde. Zu Freiburg hielt Reichlin fest, wie stark
zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Einfluss französischer Zivilisation war und wie intensiv das gehobene
Bürgertum die französische Sprache als soziale Abgrenzung nutzte.
War Reichlin, der zu Zeiten von Rotteck und Welcker studiert hatte, ein freiheitlicher Geist? Haehling
resümiert, friedlichen Fortschritt habe er begrüßt, „wüstes Parteigetriebe" sei ihm zuwider gewesen;
in den unruhigen Zeiten 1848 und 1849 habe er „nach allen Richtungen hin zurückhaltend und umsichtig
gehandelt, so dass der ordentliche Gang der Verwaltung gewährleistet war". Als er überlegte, ob er die
deutsche Kokarde tragen sollte, nahm ihm das Ende der Revolution die Entscheidung ab. Das kleine Werk
liest sich flüssig, entbehrt nicht des Humors und ist eine Fundgrube zu Orten und Personen. Bedauerlicherweise
gibt es kein Register. Renate Liessem-Breinlinger
Carola Hoecker: Vom Freischärler zum Parlamentarier. Briefe des Reichstagsabgeordneten Marcus
Pflüger (1824-1907), Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher u. a. 2019, 90 u. LXXVIII S., Abb.
Die Autorin schildert in diesem Buch den Lebensweg von Marcus Pflüger, einem der hervorstechendsten
Persönlichkeiten Lörrachs in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er entstammte einer Gastwirtsfamilie, war
Inhaber des Gasthauses zum Hirschen, Posthalter und Landwirt. Auch als er in Karlsruhe im Badischen
Landtag und in Berlin als Abgeordneter im Reichstag arbeitete, blieb sein Lebensmittelpunkt doch stets
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